Vor einiger Zeit hat mich eine Mail erreicht, in der mich ein mir bis dahin Unbekannter um ein Gespräch für ein Buch über Adoptierte bat. Nach einigem Zögern, ich hatte die Erfahrungen mit meinem Buch gerade hinter mir und wollte mich eigentlich nicht mehr gross über das Thema auslassen, sagte ich zu.
Eric Breitinger und ich trafen uns in einem Café in München und sprachen miteinander. Und wie immer, wenn ich mich mit anderen Adoptierten unterhalte, bemerke ich Gemeinsamkeiten. Wir ticken anders als Nicht-Adoptierte. Uns fehlt etwas, was andere als selbstverständlich in ihrer Entwicklung mitbekommen haben.
Manchmal, und das ist ganz schlimm, ist das Urvertrauen verloren gegangen und man schafft es sein ganzes Leben nicht, dieses Urvertrauen irgendwie zu irgendjemand aufzubauen. Man sucht etwas, was man nie hatte und auch nie kennenlernte und stellt fest, dass man es auch nach Jahren nicht finden kann, weil man gar nicht genau weiss, wonach man eigentlich sucht.
Und auf der Suche ist man immer. Da sind zwei Erwachsene, die Dich aufgenommen haben und Dir ein Heim bieten, dass Du aus welchen Gründen auch immer vorher nie hattest oder verlassen musstest. Und trotzdem, im Nachhinein betrachtet, wäre mir ein Heimaufenthalt bis zum Erwachsenenalter lieber gewesen als eine Adoption.
Es ist nicht so, dass ich meinen Adoptiveltern unterstellen möchte, sie hätten mich nicht gemocht oder unterstützt. Aber ich bin nun mal nicht ihr Fleisch und Blut und irgendwas war immer fremd, obwohl es mir nach Jahren in der Familie vertraut sein sollte.
Als ich Eric Breitners Buch in den Händen hielt, sehe ich den Titel und denke bei mir: "Wow, voll auf den Punkt gebracht!"
Vertraute Fremdheit
Ich habe lange gebraucht, mich an die Lektüre des Buches zu machen. Es lag über ein Jahr in Sichtweite auf meinem Couchtisch, doch ich habe es nie geöffnet. Ich wusste ja, was ich ihm erzählt hatte. Und so wie jedes Reden über die Zeit auch schmerzt trotz aller positiven therapeutischen Effekte, so schmerzt es auch beim Lesen. Doch letzte Woche habe ich mich endlich aufgerafft und das Buch gelesen.
Nein, nicht gelesen. Ich habe es verschlungen. Denn nicht nur ich komme in dem Buch vor, sondern 14 andere Adoptierte berichten Breitinger von ihren Erfahrungen. Er setzt diese mit seinen eigenen in Zusammenhang, vergleicht, bereichert und analysiert. In Gesprächen mit Experten (<- obwohl, ein Experte für ne Adoption kann eigentlich nur ein Adoptierter selbst sein) werden Erklärungen gesucht und Ansätze, um die Adoption als Chance zu begreifen.
Wenn Du liest, was andere erlebt haben und durch die Adoption heute noch erleben, wird Dir klar, dass Du nicht allein bist. Dass jeder ein Päckchen hat, das er durchs Leben trägt. Dass jeder einen Nachteil oder auch einen Vorteil aus der Adoption zeihen kann.
Dir wird aber auch klar, dass viele Deiner Erlebnisse und Handlungen noch heute direkt auf die Adoption zurückzuführen sind. Du bist rastlos, ständig extrem aufmerksam, leicht abzulenken oder schnell gelangweilt. Dein Leben ist anders als das der anderen. Du bist immer irgendwie fremd, denn Du selbst fühlst Dich fremd. Und es macht Dir nichts aus, immer wider irgendwo anders neu anzufangen. Du kennst es nicht anders.
Ich habe trotzdem aus dem Buch etwas gelernt. Ich bin nicht allein, und es tut auch bei allem Schmerz, den man manchmal empfindet, auch gut, zu wissen, das man nicht allein ist. Und es gibt einem jedesmal wieder den Antrieb, dem nächsten Menschen, den man kennenlernt, die gleiche Chance zu geben trotz aller Erfahrungen und Rückschläge.
Das Buch von Eric Breitinger mag für Adoptierte wenig Neues bringen, den Nicht-Adoptierten aber öffnet es vielleicht eine neue Sichtweise auf Adoptionen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ich persönlich könnte mich niemals für die Adoption eines Kindes entscheiden. Aber das ist mein Päckchen. Vielleicht findest Du während der Lektüre des Buches Dein Päckchen, und ein Kind eine Chance. So oder so.
In diesem Sinne: Eine Leseempfehlung für "Vertraute Fremdheit" von Eric Breitinger. Leider nur als Totholzausgabe. ;-)
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Lieber Michael,
AntwortenLöschendanke für den schönen Blogeintrag _ und natürlich bin ich auf dein/ihr Lob etwas stolz. Es berührt mich, dass du den Aspekt der Gemeinsamkeit zwischen allen Adoptierten betont hast. Dieser Aspekt war mir beim Schreiben sehr wichtig...
Auf bald,
Eric Breitinger