Mittwoch, 8. Februar 2012

Wo ist der alte Meister?

Ich sollte mal eine Bäckerei übernehmen in der Pfalz. Vorausgehend sollte eine Ausbildung zum Bäcker und Konditor sein, die ich allerdings nach drei Monaten zwangsweise beenden musste. Ich hatte mit meinem Gesellen tagelang an Fasching durchgefeiert und wir waren am Aschermittwoch in der Backstube eingschlafen. Während der Arbeit wohlgemerkt, als wir zig Brotlaiber formten. Das war es dann mit der Karriere als Bäckermeister Jäger in der Pfalz. Dass es nicht so gekommen ist, ist im Nachhinein gar nicht so schlecht. Frühes Aufstehen liegt mir eh nicht.

Mein damaliger Meister war ein Bäckermeister alter Garde. Penibelste Sauberkeit herrschte in der Backstube. Auch und gerade bei den Granatsplittern wurde darauf geachtet, dass keine verdorbene Restware verarbeitet word. Lieber hat er den ganzen Eimer weggeworfen, als auch nur den Hauch eines Schimmelbefalls bei der Ware zu akzeptieren. Ganz im Gegensatz zu manch anderer Bäckerei, wie mir Mitschüler in der Berufsschule berichteten. Da wurde eben der Abfall auch noch verkauft. Hab ich damals nicht verstanden und werde ich wohl nie tun.

Wir haben natürlich oft geflucht, wenn wir die Backstube am Ende des Tages (früher Morgen wäre die richtige Bezeichnung) nochmals reinigen mussten, obwohl wir doch schon bei der Herstellung der Lebensmittel mit Argusaugen beobachtet wurden, ja keine Fehler zu machen, nichts auf den Boden gefallenes wieder aufzuheben und weiter zu verarbeiten. Er hat alles richtig gemacht, der alte Meister und insgeheim hab ich ihn dafür bewundert. So als junger Kerl ist man manchmal noch nicht so weit, die Tragweite seines Tuns zu überblicken. Manches kapiert man erst später.

Der alte Meister wusste, warum er das tat. Seine Kunden kamen aus der Nachbarschaft, waren Freunde, Bekannte, Kunden.
Kunden, die kamen, weil sie wussten, der alte Griesgram brüllt zwar manchmal auch im Laden, aber er hält ihn eben auch sauber. Die grosse Firma gegenüber war seit Jahren Kunde und die hatten höchste Ansprüche, was Hygiene und Sauberkeit angeht. Und so war der Chef unter Woche ein Tyrann, aber am Wochenende derjenige, der sich in Schale warf und mit mir auf den Betzenberg fuhr, um die Roten Teufel anzufeuern.

Ich weiss nicht, ob die Bäckerei noch existiert, ob er einen anderen Lehrling fand, dem er das Handwerk beibrachte und an die Leitung des Betriebs heranführte. Vielleicht hat er verkauft, vielleicht auch nicht. Ich weiss es nicht. Aber ich habe auch in der kurzen Zeit, die ich bei ihm war, viel gelernt. Respekt vor dem Produkt Lebensmittel. Respekt vor dem Kunden, der damit beliefert wird.

Wenn Produkte, die ich kaufe, das aufgedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum erreichen, fliegen sie in den Müll, ohne Test und ohne zu überlegen. Es kommt selten vor, aber es passiert. Was ich mir nicht antue, möchte ich auch nicht, dass es anderen angetan wird.

Ich habe auch bei Müller-Brot gekauft. Jahrelang. Wie bei jeder anderen Bäckerei, bei der ich gekauft habe, mit absolutem Vertrauen in die einwandfreie Herstellung. Dann lese ich in den vergangene Tagen immer wieder von Hygienemängeln bei Müller-Brot und da fällt mir der alte Meister ein.

Wie er manchmal brüllend in der Backstube noch vor der Ladentür zu hören war. Er war Chef und Kontrolleur in Personalunion. Nicht weil es Gesetz war (ausser vielleicht sein Gesetz), sondern weil er Respekt hatte. Vor den Menschen, die ihm vertrauten, dass er für ihn nur die saubersten Maschinen und Hilfsmittel benutzt, um seine Lebensmittel herzustellen. Die tagtäglich zu ihm kommen, seine Brezeln, sein Brot, sein Gebäck, seinen Kuchen kauft. All das, weil es schmeckt und ordentlich verarbeitet wurde.

Und dann liest Du in den Medien von den Zuständen bei Müller-Brot. Und dass es schon seit Jahren Probleme gab, Bussgelder verhängt wurden, bis es schließlich nicht mehr zu umgehen war, die Produktion zu stoppen.

Wo ist der Verantwortliche, der den Respekt vor dem Produkt, den Respekt vor dem Menschen, dem Kunden, sich selbst hat? Wo ist der Kontrolleur, der so penibel auf die Sauberkeit achte, dass er garantieren kann, dass keine Produktion von Lebensmitteln aufgenommen wird, bis nicht auch das kleinste Problem beseitigt ist?

Welche Konsequenzen sind eigentlich für die zuständige Aufsichtsbehörde zu erwarten? Seit mehr als zwei Jahren sind die Hygiene-Probleme bei Müller-Brot bekannt, wenn man der Presse glauben darf. Seit mehr als zwei Jahren? Und der Kunde (auch der potentielle, der einfach die nächstgelegene Filiale betritt) erfährt nichts davon?

Warum? Ist unserem Verwaltungsapparat die Gesundheit der Bürger nicht wichtig? Sind die Kriterien, nach denen ein Betrieb, der die Ernährung der Bevölkerung mit sicherstellen soll, zu schwammig? Gibt es politische Gründe dafür, eine Gross-Bäckerei mit soviel Mitarbeitern und damit Wählern am Leben zu erhalten, koste es an Gesundheit, was es wolle? Stimmt ein altes Sprichwort? Wird aus Scheisse Gold gemacht?

Wo sind die Chefs, die sich noch selbst davon überzeugen, dass ihr Laden läuft, wie er laufen soll? Die mit Respekt vor dem Produkt und Respekt vor dem Kunden? Wo ist der alte Meister?



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Du magst mir ein Bier ausgeben? Gerne und Danke :-)

1 Kommentar:

  1. Alle ausgestorben oder als alte Fossilien von den "Jungen" belächelt und an die Wand gedrückt. Leider.

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Danke für Deinen Kommentar.
Er wird geprüft und solange sich darin keine Hetze, Beleidigung oder einfach irgendwas, was mir nicht passt drinsteht, wird er in Kürze veröffentlicht. Schönen Tag.